Hallo miteinander!
Natürlich führen wir die kleine Tradition der letzten Jahre fort:
die Jahresrückblick-Sonderfolgen.
Normalerweise versammelt jede Newsletter-Ausgabe ja nur die Auswahl von Ost/West-Beiträgen, die mir unter die Nase geraten sind in den vorausgegangenen 14 Tagen.
Daher folgt an dieser Stelle nun Sonderausgabe I:
mit Ost/West-Stücken, die anderen in diesem Jahr besonders aufgefallen sind.
Tausend Dank an dieser Stelle allen, die mir ihre persönliche Besten-Auswahl 2023 geschickt haben – unten folgen die ersten 6.
(Teil 2 der Sonderausgabe dann in 14 Tagen – zur Feier des neuen Jahres. Freuen Sie sich schon mal: Es ist eine großartige Mischung!)
Der Newsletter ist kostenlos.
Tausend Dank allen, die die Presseschau in diesem Jahr unterstützt haben. Sei es, indem Sie ein Abo empfohlen haben oder auch hier und da eine kleine oder größere freiwillige Spende schickten. Ich freue mich sehr über diese Wertschätzung.
Wer über Unterstützung nachdenkt, das geht unkompliziert via Paypal hier:
Damit wünsche ich Ihnen schon einmal wunderbare, helle, gesunde Feiertage.
Apropos Feiertage:
Falls jemand noch was zu lesen sucht, hier die ganze Liste mit Ost/West-Büchern 2023.
Und worüber haben wir hier eigentlich vor einem Jahr geredet?
Hier direkt zu Folge 72 vom 18.12.
Noch mal fix zwei Sätze zur Erklärung:
Der Newsletter von ostwestnordsuedx zieht alle zwei Wochen einen Strich – und packt Beiträge rund um Ost/West zusammen, die in den +/-14 Tagen zuvor aufgefallen sind. Damit sich nicht alles versendet. Als eine Art temporäres Archiv.
1. ANNE RABE empfiehlt:
(@AnneRabe2 / anne-rabe.de)
Text: “Da denkst du nur noch: Ich gehe jetzt. Ich geh jetzt sofort“, Christian Bangel / Zeit Campus
“Also das erste, was ich empfehlen möchte, ist die Lausitz-Reportage Christian Bangel ,Da denkst du nur noch: Ich gehe jetzt. Ich geh jetzt sofort‘ mit wunderbaren Fotos von Iona Dutz. Ich finde die Reportage deshalb so gelungen, weil sie einerseits Menschen sichtbar macht, die jung sind und mit der rechtsextremen Mainstreamkultur ihrer Region konfrontiert sind, an ihr jedoch nicht teilnehmen wollen. Welche Schwierigkeiten das mit sich bringt, gelingt Bangel hier schonungslos darzulegen, indem er einerseits diesen anderen, diesen Nicht-Rechten Raum gibt, ohne jedoch diese für eine Entlastungserzählung (wie das so oft passiert) zu missbrauchen und das rechte Problem zu verharmlosen.”
Buch: “Sexismus im Betrieb. Geschlecht und Herrschaft in der DDR-Industrie”, Henrike Voigtländer / Aufbau
“Der Mythos der ,emanzipierten Ostfrau‘ ist einer der wirkmächtigsten und hartnäckigsten der letzten Jahrzehnte. Dabei wird jedoch häufig Erwerbstätigkeit und Emanzipation gleichgesetzt. Die Erwebstätigkeit der Frauen und auch ihre gute Ausbildung in der DDR ist unbestritten, ihre fehlende Teilhabe an der Macht und an Führungspositionen und die mangelhafte Beteiligung der Männer an der Care-Arbeit jedoch lassen schon ahnen, dass die Emanzipation von oben, wie sie in der DDR vollzogen wurde, auch negative Folgen hatte und stets nur so weit voranschritt, wie es für das sozialistische Vaterland genehm war. Ein entscheidender Punkt jedoch ist die Sprache über Gewalt und ein Dagegen. Ohne dieses gibt es keine Emanzipation. Hier gab es bisher wenig Aufklärung, gerade auch was die Themen sexualisierte Gewalt angeht. Die nun erschienene Dissertation ,Sexismus im Betrieb‘ von Henrike Voigtländer (Aufbau, 35 Euro) ist ein guter und vielschichtiger Anfang!”
Instagram: “@DDR Verstehen” / Bundesstiftung Aufarbeitung
“Sehr gute und vielseitige Infos zur DDR und Wiedervereinigung, gut und leicht verständlich aufgearbeitet. Von Alltagsleben samt Popkultur bis zu finsteren Kapiteln wie dem Umgang mit Behinderung oder die unmenschliche Behandlung von Vertragsarbeiter*innen. Die Bundesstiftung hat hier ein wirklich gutes niedrigschwelliges Angebot aufgebaut.”
2. TOM SCHMIDTGEN empfiehlt:
(@TommesFrittes / t-online.de)
TV: “Capital B. Wem gehört Berlin“, Florian Opitz / Arte
“Diese Doku ist mir in Erinnerung geblieben, wie lange keine. Arte zeigt mit Zeitzeug:innenstimmen aus der Berliner Politik und der Techno-Szene, wie sich die Stadt seit 1989 entwickelt hat – und vor allem, wie sich reiche West-Eliten Ostberlin unter den Nagel gerissen haben und damit die Kulturszene nach und nach verdrängten. Wer sich schon immer gefragt hat, warum der Potsdamer Platz so hässlich ist, findet hier eine Antwort.”
Audio: “Fünf Jahre in Dresden. Putins Zeit als KGB-Offizier in der DDR“, Alexander Moritz / DLF
“Der Kriegsverbrecher Putin hat als KGB-Offizier fünf Jahre in meiner Heimatstadt Dresden gewohnt. Alexander Moritz geht auf Spurensuche: Was hat er hier gemacht? Wie einflussreich war er wirklich? Wie hat die Friedliche Revolution ihn geprägt? Das Feature gibt Einblicke, wie Putin der geworden ist, der er heute ist.”
Ausstellung: “Evelyn Richter. Ein Fotografinnenleben“, MDBK Leipzig
“Ich konnte die Ausstellung schon vergangenes Jahr in Düsseldorf sehen, nun ist sie bis März im Museum der bildenden Künste in Leipzig – und sie lohnt sich! Ich wusste vorher nichts über die großartige Fotografin Evelyn Richter, nach der Ausstellung waren ich und zwei Freund:innen große Fans! Richter hat den Alltag in der Sowjetunion und der DDR auf Augenhöhe eingefangen, die Schwarz-Weiß-Portraits brennen sich ins Gedächtnis ein. Auf nach Leipzig!”
(bis 17.3.2024, mehr hier)
3. JULIUS BETSCHKA empfiehlt:
(@JuliusBetschka / Tagesspiegel)
Text: “Los Wochos in Lostdeutschland“, Cornelius Pollmer / Süddeutsche Zeitung
“Ausgewählt wegen der wunderbaren Überschrift ‘Los Wochos in Lostdeutschland’, gefeiert für die herrliche Wut gegen das McDrive unter den Ost-Büchern dieses Jahres und verehrt für das gleichzeitig völlig richtige Zugeständnis, dass der blanke Zorn Dirk Oschmanns über die festgefahrenen Ost-West-Verhältnisse, natürlich, trotzdem komplett berechtigt ist.”
Text: “Liebe ist kein Zustand, sondern eine Aufgabe“, Interview mit Helga Schubert, von Elisa von Hof / Spiegel+
“Kein ganz klassischer Ost-Text, aber ein Gespräch voll von klassischen Ost-Sätzen über die Liebe, for those who know. Völlig verdient vor einigen Tagen mit dem Reporter:innen-Preis für das beste Interview des Jahres ausgezeichnet!”
(Volltext bei reporterpreis.de)
Text: “Die westdeutsche Brille. Eine weithin ignorierte Studie über Gewalt in Ost und West gibt neu zu denken“, Sabine Rennefanz / Tagesspiegel+
“Ostdeutsche leiden noch heute an der Gewalt der Diktatur der DDR, der Ostdeutsche ist deshalb gewaltvoll, wurde schon in der Kindheit mit Gewalt erzogen. Das sagt und schreibt sich in diesen Tagen leicht. Einen gesellschaftlichen Dachschaden auf der Ostseite zu erfühlen, hat noch immer für Applaus gesorgt. Sabine Rennefanz hält dem schaurigen Gefühl in ihrem Text Fakten entgegen – und hat sich dafür nur eine einzige, aber weithin ignorierte Studie anschauen müssen. Weckt den inneren Oschmann.”
4. WIEBKE HOLLERSEN empfiehlt:
(@wiebkehollersen / Berliner Zeitung)
Film: “Alle reden übers Wetter“, Annika Pinske / Grandfilm
“Der Film kam schon im vergangen Jahr ins Kino, aber ich habe ihn erst in diesem Jahr gesehen und empfehle ihn seitdem ständig weiter. Weil ja immer alle als erstes fragen, was in einem Film passiert: Clara promoviert in Berlin in Philosophie und fährt über ein Wochenende nach Hause. Nach Mecklenburg-Vorpommern, zu einem Familienfest. Das ist nicht viel Handlung. Aber es sind zwei weit voneinander entfernte Welten, und sie sind so genau beobachtet und erzählt, mit einem so feinen, und ja: ostdeutschen Blick, wie ich es noch nie gesehen habe. Annika Pinske, die Drehbuchautorin und Regisseurin, ist in Prenzlau aufgewachsen. Dieser Film war ihr Debüt und ich kann es kaum erwarten, ihren nächsten zu sehen.” (Stream-Optionen)
Doku: “Kalle Kosmonaut“, Tine Kugler, Günther Kurth / Kmoto
“Kalle ist zehn, wohnt in Berlin-Marzahn an der Allee der Kosmonauten, isst mittags in der Arche, dem christlichen Hilfswerk für arme Kinder, als die Filmemacher ihn kennenlernen. Ein Junge mit offenem Gesicht und Herz. Günther Kurth und Christine Kugler haben ihn dann zehn Jahre lang begleitet. In Kalles Leben ist in dieser Zeit eine Menge Mist passiert. Aber am Ende gibt es auch Hoffnung. Ich liebe Dokumentarfilme, und das ist der beste, den ich in diesem Jahr gesehen habe. Kalle hat mich nicht mehr losgelassen.” (Stream-Optionen)
Buch: “Die Geschwister“, Brigitte Reimann / Aufbau
“Der Aufbau-Verlag bringt das Werk von Brigitte Reimann neu heraus. In pastellfarbenen Covern, die sich toll auf Instagram machen. Als dann noch meine liebste Buchhändlerin Tatjana Mischke (Franz-Mehring-Buchhandlung, Frankfurter Allee 65, 10247 Berlin) mir ‘Die Geschwister’ ans Herz legte (und ihr Sohn Thilo Mischke es zeitgleich empfahl), fing ich an, Reimann zu lesen. Spät, ich weiß. Aber ich hörte nicht mehr auf. 2023 war mein Reimann-Jahr. ‘Franziska Linkerhand’, die Tagebücher, ‘Ankunft im Alltag’. Alles toll. Aber man meisten hat mich der Roman über die Geschwister bewegt, die fast zerbrechen an der Frage: In der DDR bleiben oder gehen? Die dicke Reimann-Biografie von Carsten Gansel (‘Ich bin so gierig nach Leben’, auch bei Aufbau erschienen), liegt schon für die Weihnachtstage auf meinem Nachttisch.”
5. NIKLAS OTTERSBACH empfiehlt:
(@nottersbach / DRadio)
Text: “Los Wochos in Lostdeutschland“, Cornelius Pollmer / Süddeutsche Zeitung
“Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann hat mit seinem Buch (‘Der Osten: eine westdeutsche Erfindung’) alle Ostdeutschland-Korrespondenten dieses Jahr auf Trab gehalten. Aber kein Journalist hat das sprachlich so gut seziert wie Cornelius Pollmer. Diese Rezension ist von der Überschrift bis zur letzten Zeile ein Gesamtkunstwerk. Dirk ‘Sly’ Oschmann kommt in diesem Text in bester Stallone-Manier (‘Demolition Man’) frisch aufgetaut aus dem ewigen Eis und durchpflügt den ermatteten Ost-West-Diskurs. Mit einem heiligen Zorn, der, auch das stellt Pollmer fest, ja durchaus berechtigt ist. Nur eben folgenlos. Gegen den westdeutschen Vermieter, der den Ostdeutschen mit sanftem Druck den Index-Mietvertrag in die Hand drückt, ist am Ende kein Kraut gewachsen.”
Audio: “AfD im Höhenflug: Abgrenzen, Scheitern, neu denken – so reagieren die Parteien“, Henry Bernhard, Niklas Ottersbach / DLF
“Ein bisschen eitel ist es ja schon, eigene Werke als Lieblingsstück des Jahres anzupreisen. Dennoch empfehle ich diese Co-Produktion meines Kollegen Henry Bernhard und mir. Vor allem bei seinen Analysen und Beobachtungen sollten Sie genau hinhören. Henry Bernhard spielt in diesem Feature schon mal die Debatten durch, die uns im kommenden Wahljahr noch intensiv beschäftigen werden: Was tun, wenn bei der Landtagswahl in Thüringen die AfD so stark wird, dass die alte Farbenlehre nicht mehr möglich ist? Wie steht es um den Abgrenzungsbeschluss der CDU zur Linken? Es geht in diesem Feature um die AfD, ihre ersten kommunalpolitischen Erfolge, aber auch um Strategien der anderen Parteien.”
6. MARTIN DEBES empfiehlt:
(@martin_debes / Thüringer Allgemeine)
Podcast: “Wahlkreis Ost“, Anja Maier, Malte Pieper / MDR aktuell
“Empfehlen kann ich den ‘Wahlkreis Ost’-Podcast des MDR, weil Malte Pieper und Anja Maier eine gute Wossiossi-Mischung sind und sie oft interessante Gäste haben.”
Zeitung: “Leipziger Volkszeitung“
“Ich finde auch, dass die LVZ neben der ‘Zeit im Osten’ die ambitioniertesten Geschichten zur Osterklärung anbietet, Josa Mania-Schlegel und Antonie Rietzschel sind da eine echte Bereicherung. Da kann man eigentlich jeden größeren Beitrag nehmen der zwei, aber Josas Newsletter ‘Heiterblick’ ist eine besondere Erwähnung wert.”
Text: “Alles musste perfekt sein“, Interview mit Kati Witt, von Jana Hensel / Zeit+
“Jana Hensels unaufgeregtes Interview mit Kati Witt (über ihre Trainerin Jutta Müller, Anm.) hat mir gut gefallen.”
Text: “Wer die Freiheit verrät“, Ilko-Sascha Kowalczuk / Spiegel+
“… und eigentlich alles, was Ilko-Sascha Kowalczuk an streitbaren Dingen schreibt. Zum Beispiel das hier.”
Folge 96 des #ownsx-Newsletters erscheint am 1.1.2024
Kommen Sie gut ins neue Jahr!
Wer sich in die Newsletterliste eintragen will …
Sie können auch alle Newsletter einzeln nachlesen – hier im Archiv.
Ich freue mich, wenn Sie die Arbeit für diesen Newsletter unterstützen – indem Sie ihn lesen, ihn anderen weiterleiten. Und falls Sie auch finanziell beitragen mögen, gibt es nun auch diesen Weg:
Der Kontext hinter dem Newsletter:
Was die geplante Arbeitsplatztauschplattform für Journalist:innen auf ostwestnordsuedx.de (Was das sein soll? Womit alles anfing? Wer dahinter steckt? Steht hier und hier und hier. ) angeht: Das Ganze befindet sich in der Praxisform in Ruhephase, aber hoffentlich bewegt sich bald etwas.
Als Alternative für physischen Tausch: Bieten Sie Ihre Perspektive an – und finden jene Einblicke, die Ihnen im Blatt, in der Sendung, im Heft, auf der Seite fehlen:
→ hier direkt zum Suche/Biete-Formular!
Ums leichter weiterzusagen:
https://tinyurl.com/ownsx-tauschformular
Zum Schluss weiterhin dieser Hinweis:
Das Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung hat eine Spendenaktion für Journalist:innen in der Ukraine organisiert – zusammen mit Otto-Brenner-Stiftung, Reporter Ohne Grenzen, Frag den Staat, Netzwerk Recherche, taz-Panter-Stiftung. Direkt zur Spendenseite mit allen Infos geht’s hier.