ownsx // folge 72
Einen schönen Wochenauftakt allen!
Mit Blick auf die Feiertags-Sause, die baldgleichmorgen beginnt, führen wir hier die kleine Tradition der letzten Jahre weiter: die Sonderfolgen.
Denn normalerweise versammelt jede Newsletter-Ausgabe ja nur die Auswahl von Ost/West-Beiträgen, die mir unter die Nase geraten sind in den vorausgegangenen 14 Tagen.
Daher folgt an dieser Stelle folgt nun eine Sonderausgabe:
mit Ost/West-Stücken, die anderen in diesem Jahr besonders aufgefallen sind.
Tausend Dank an dieser Stelle allen, die mir ihre persönliche Besten-Auswahl 2022 geschickt haben! Und allen anderen, die diesen Newsletter lesen, freundlich begleiten, anderen empfehlen.
Apropos FEIERTAGE:
Falls jemand noch was zu lesen sucht, hier die ganze Liste mit Ost/West-Büchern 2022.
(Teil 2 der Sonderausgabe dann in 14 Tagen – zur Feier des neuen Jahres)
Aber erst mal – worüber haben wir hier eigentlich vor einem Jahr geredet?
Das war Folge 48 vom 13.12., da ging’s noch um die Ampel-Bildung
– und hier die 1. Feiertags-Sonderfolge.
Noch mal fix zwei Sätze zur Erklärung:
Der Newsletter von ostwestnordsuedx zieht alle zwei Wochen einen Strich – und packt Beiträge rund um Ost/West zusammen, die in den +/-14 Tagen zuvor aufgefallen sind. Damit sich nicht alles versendet. Als eine Art temporäres Archiv.
1. KATHARINA THOMS empfiehlt:
(@mediathoms / @menschmutta / @dlf )
Audio: “Das Schreiben hat mir viele Stunden beim Psychiater erspart“, Interview mit Bettina Wegner / DLF
“Sie war groß im Kino - aber nur im Kopfhörer ist „Bettina Wegner im Gespräch“ mindestens genauso schlagfertig, herzerwärmend, ehrlich. Die bewundernswerte Frau und ihre Geschichte zum immer wieder nachhören bei Deutschlandfunk Kultur.”
Audio: “Vom Bleiben, vom Weggehen und vom Wiederkommen. Weißwasser schrumpft sich alt”, Henry Bernhard / DLF
“Henry Bernhard hat so feinfühlig und nah dran nach vielen Jahren nochmal die Protagonistinnen seines Features über Weißwasser aufgesucht - und aus den Begegnungen ein aufschlussreiches Porträt über den Wandel in der sächsischen Provinz gebaut.”
2. ULRIKE NIMZ empfiehlt:
(@Miss_Achtung / @SZ)
TV: „Aufgewachsen unter Glatzen – Landschaften der Angst“, Karsten Wolff / 3sat
“30 Jahre nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen spürt Karsten Wolff in dieser zweiteiligen Dokumentation den Kontinuitäten rechtsextremer Gewalt in Ostdeutschland nach.
Mai-Phuong Kollath, ehemalige DDR-Vertragsarbeiterin aus Vietnam, berichtet von der Zunahme rassistischer Attacken in der Nachwendezeit und jenen Nächten im August 1992, als der wiedervereinte Staat vor Neonazis und Wutbürgern kapitulierte.
Wolff interviewt die Autorinnen Manja Präkels („Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“), Daniel Schulz („Wir waren wie Brüder“) und Hendrik Bolz („Nullerjahre“), die mit ihren teils autobiografischen Romanen maßgeblich zur Aufarbeitung der „Baselballschlägerjahre“ beigetragen haben.
Ein beklemmendes Stück Fernsehen über das Wegrennen und Wegsehen der 90er und das politische Erbe eines Jahrzehnts.”
3. DANIEL KUBIAK empfiehlt:
(@deekaybiese82 / @sowihuberlin)
Buch: “Wir waren wie Brüder”, Daniel Schulz
“Dieses Buch ist nicht nur sehr gut geschrieben, sondern es hat mir bei mir auch sehr persönlich eingeschlagen. Mit eigener Verwandtschaft in der Prignitz und nur wenigen Jahren Altersunterschied, kann ich sowohl die rechte Hegemonie, die in dem Buch beschrieben wird, nachvollziehen, als auch die eigene naive politische Auseinandersetzung damit und die Situation der brandenburgischen Ländlichkeit nach der Wende mit all seinen Ostgeschichten.”
Musik: “Traumpaar”, Silly & Gundermann Seilschaft”
“Ich habe dieses Lied schon immer gemocht, doch erst dieses Jahr wurde mir bewusst, dass es ein Wendelied ist. Das Traumpaar des Jahrhunderts hatte es schwer, bleibt die Frage, wie Danz und Gundermann im Jahr 2022 darauf schauen würden. Sie fehlen.”
Konferenz: “Haymat Ost”, Rosa-Luxemburg-Stiftung
“Die Haymat-Konferenz in Leipzig, auf der sich junge Menschen über eine postmigrantische Gesellschaft in Ostdeutschland auseinandergesetzt und vernetzt haben, sowie neue Ideen entwickelten und hoffentlich umsetzen, war eines meinder echten Highlights. Da geht was.”
4. HENRY BERNHARD empfiehlt:
(@henry_bernhard / @DLF)
Audio: “Der heiße Demo-Herbst in Sachsen”, Alexander Moritz / DLF
“Mein Kollege Alexander Moritz hat es sich nicht leicht gemacht. Er ist rausgegangen und hat mit den Demonstranten geredet, was nicht immer vergnügungssteuerpflichtig ist. Er hast nachgefragt und die Leute nicht mit platten Antworten davonkommen lassen.”
Audio: “Umbruch in Bitterfeld-Wolfen”, Niklas Ottersbach / DLF
“Mein Kollege Niklas Ottersbach hat sehr genau hingesehen: Was klappt, was nicht, was bleibt.”
5. ANJA MAIER empfiehlt:
(@frau_maier / @FOCUS_Magazin / @mdraktuell)
Podcast: “Eliten in der DDR”, MDR
“Ich höre das mit großem Interesse und stark wechselnden Gefühlen.”
Podcast: “Wahlkreis Ost”, MDR
“Beim MDR gibt es September 21 auch diesen Podcast. Den höre ich nicht, sondern mache ich mit Malte Pieper. Zuletzt hatten wir Ramelow in der Leitung. Und Mohring. Und Richter. ... Und fürs neue Jahr werden es endlich auch Frauen in unsere Runde schaffen ;)”
6. DOREEN REINHARD empfiehlt:
(@DoreenReinhard / Freie u.a. für Die Zeit)
Text: “Alles ist hier möglich”, Ulrike Nimz / Süddeutsche Zeitung
“Ulrike Nimz hat in der Süddeutschen Zeitung aufgeschrieben, was man als Korrespondentin in Ostdeutschland erlebt. Wie es ist, hier zu sein, inmitten all dieser Gleichzeitigkeit: Niedrige Mieten, Wutbürger, Kraftklub-Hits, Rassismus im Taxi, Party mit Regenbogen, – ‘Willkommen im Osten: Alles ist möglich.’”
Text: “Die Liebeserklärung, die kaum einer will”, Christina Rietz / Zeit+
“Es soll Menschen geben, die Sächsisch für den schrecklichsten Dialekt des Landes halten. Das ist natürlich völlig ignorant. Christina Rietz hat die Feinheiten erkannt und sich auf eine herrliche Reise begeben, um Sächseln zu lernen.”
TV: “Russland, Putin und wir Ostdeutsche”, Jessy Wellmer / NDR
“Ticken viele Menschen im Osten anders, wenn es um Russland geht? Wieso streitet man hier offenbar heftiger über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine? Jessy Wellmer ist für eine ARD-Reportage durch den Osten gereist, auch zu ihrer Familie, in der es ebenfalls intensive Diskussionen gibt.”
7. CORNELIUS POLLMER empfiehlt:
(@cpollmer / @SZ)
Text: Denise Peikert: Hartz-IV-Empfänger Giese kauft wieder ein – was kosten seine Produkte heute? / LVZ (+)
“Journalistinnen und Journalisten halten oft für die allgemeine Wirklichkeit, was eigentlich nur ihr Alltag ist. Die Gesellschaft ist zum Glück vielfältiger, zu ihr gehört auch Karl-Heinz Giese aus Leipzig. Die LVZ-Reporterin Denise Peikert hat ihn beim Einkaufen begleitet, um erzählen zu können, was eine hohe Inflationsrate bedeutet, wenn man von Hartz IV lebt. Der Text ist keiner dieser Sozialpornos geworden, die manchmal entstehen, wenn es in Medien um Armut geht. Das echte Interesse von Peikert zeigt sich auch darin, dass sie ein halbes Jahr später noch einmal mit Herrn Giese einkaufen geht. Denn während eine Erhöhung der Regelsätze auf sich warten lässt, steigen die Preise ohne Unterlass weiter.”
Buch: “Nullerjahre”, Hendrik Bolz / Kiepenheuer & Witsch
“Wenn als irgendwie ostdeutscher Mensch dieses Jahr etwas unmöglich war, dann von diesem Buch nichts mitzukriegen. Es trotzdem zu empfehlen, heißt also, Eulen nach Athen zu tragen, wenigstens aber Papageien nach Marlow. Und ich mache es hier trotzdem, weil nichts sonst mich 2022 so beeindruckt hat wie der Beat dieses Buches, seine ahnungslose Eile, die Präzision, mit der dieser Text auf mehr als 300 Seiten bis in die hinterletzte Silbe genau komponiert worden ist. Auch deswegen lese nicht nur ich bei Bolz noch einmal so gerne, was im Grunde bekannt ist: Das Aufwachsen im Plattenbauosten um die Jahrtausendwende war herausfordernd, teilweise brutal. Dass es über diese unübersichtliche Zeit solche Literatur gibt, ist ein Gewinn.”
Humor: Comedy-Autoren aus Ostdeutschland, siehe u.a. Gregor Ryl, Kevin Albrecht, Tristan Herold
“Man muss nicht in jede kleine Beobachtung einen Trend hineinbehaupten, das gilt auch für diesen Shoutout. Aber schön ist es schon, dass vor und hinter den Kameras relevanter deutscher Humorformate wie dem ZDF Magazin Royale oder Studio Schmitt hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Osten arbeiten. Sie sind dort nicht als Bevollmächtigte für Herkunft gefragt, sondern als reguläre Autoren oder Sidekicks - im Idealfall bringen sie trotzdem neue Perspektiven auf den Osten wie den Westen ein und verringern Abstände, zum Beispiel so wie Kevin Albrecht, als er vor kurzem zum Tag der Deutschen Einheit festhielt: ‘Köln ist auch nur Hoyerswerda mit Menschen’.”
8. AXEL-WOLFGANG KAHL empfiehlt:
(@awkahl / @unipotsdam)
Aufsatz: “Die Erforschung der Transformation Ostdeutschlands seit 1989/90. Ansätze, Voraussetzungen, Wandel”, Marcus Böick / Docupedia-Zeitgeschichte
“Die Historisierung der Umbruchsjahre ist im vollen Gange. Einen wunderbaren und längst notwendigen Überblick zur „Erforschung der Transformation in Ostdeutschland seit 1989/90 “ lieferte in diesem Jahr der Zeithistoriker Marcus Böick. Für das digitale Nachschlagewerk Docupedia geht Böick in seinem Beitrag den verschiedenen wissenschaftlichen Aneignungsversuchen des „Wandels nach der Wende“ nach. Aufgabe der Zeitgeschichte sei es, die zeitgenössischen Kontroversen, gesellschaftlichen wie politischen Diskussionen und theoretischen Debatten mit quellenbasierten Studien zu bereichern. Und hierüber schließlich die bekannten Makro- und Mikroperspektiven („Erfolg“ oder „Misserfolg“, „Täter“ oder „Opfer“) zu brechen und in größere Zusammenhänge und langen Linien einzubetten.
Audio: “Das Zerrbild vom Zoni im Kaufrausch” Jens Balzer / DLF
“Wie das exemplarisch aussieht, bewies der Zeithistoriker Clemens Villinger mit seiner Studie „Vom ungerechten Plan zum gerechten Markt? Konsum, soziale Ungleichheit und der Systemwechsel von 1989/90“. Ausgehend von mehr als 150 sozialwissenschaftlichen Interviews aus den 1990er-Jahren erzählt Villinger die lange Geschichte der »Wende« am Beispiel der Konsumfelder Ernährung und Wohnen. Er zeigt, wie Menschen in dörflichen, Klein- und Großstädten den ökonomischen Wandel vor, während und nach 1989/90 gestalteten und bewerteten. Einen kursorischen Einblick in seine Forschung liefert ein Hörstück des Deutschlandradios.”
9. THOMAS OBERENDER empfiehlt:
(@ThomasOberender, mehr hier / bis 2021 @blnfestspiele)
Text: “Der reine Tisch”, Durs Grünbein / FAZ+
“‘Der reine Tisch’ von Durs Grünbein in der FAZ vom 5. November hinweisen. Zu Fuß unterwegs in einem Dresdner Villenviertel kehren Erinnerungen an seine Kindheit in der DDR zurück. Das Verschwinden ihrer Orte ist in diesem Text begleitet von der Entdeckung eines größeren Zusammenhangs von Sprache, Vergänglichkeit und Leben. Ein Text aus dem Osten, aber er spricht in alle vier Himmelsrichtungen.”
Festival: “OSTEN”, Bitterfeld
“Wie das Festival OSTEN in Bitterfeld in diesem Sommer, das aus Bitterfeld kam und nicht nach Bitterfeld.”
So. Habe ich was vergessen? Soll was Bestimmtes mit rein?
Dann los: mail @ ostwestnordsuedx.de
Folge 74 des #ownsx-Newsletters erscheint am 2.1.2023
Kommen Sie alle gesund und möglichst munter durch die Feiertage – und rüber ins das nigelnagelneue Jahr!
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… und natürlich gerne weitererzählen, danke!
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