
Hallo miteinander!
Dies ist noch nicht die übliche Presseschau – sondern die zweite Sonderfolge, wie immer rund um den Jahreswechsel: Rückblick eben.
Wie schon vor zwei Wochen notiert: Normalerweise versammelt jede Newsletter-Ausgabe ja nur die Auswahl von Ost/West-Beiträgen, die mir unter die Nase geraten sind in den vorausgegangenen 14 Tagen.
Nach Sonderausgabe I kommt hier nun Sonderausgabe II:
mit Ost/West-Stücken, die anderen in diesem Jahr besonders aufgefallen sind.
Merci an dieser Stelle allen, die mir ihre persönliche Besten-Auswahl 2023 geschickt haben – unten folgt die zweite Hälfte.
Der Newsletter ist kostenlos.
Tausend Dank allen, die die Presseschau in diesem Jahr unterstützt haben. Sei es, indem Sie ein Abo empfohlen haben oder auch hier und da eine kleine oder größere freiwillige Spende schickten. Ich freue mich sehr über diese Wertschätzung.
Wer über Unterstützung nachdenkt, das geht unkompliziert via Paypal hier:
Damit wünsche ich Ihnen schon einmal wunderbare, helle, gesunde Feiertage.
Apropos Feiertage:
Falls jemand noch was zu lesen sucht, hier die ganze Liste mit Ost/West-Büchern 2024.
Und worüber haben wir hier eigentlich vor einem Jahr geredet?
Hier direkt zu Folge 97 vom 1.1.
Noch mal fix zwei Sätze zur Erklärung:
Der Newsletter von ostwestnordsuedx zieht alle zwei Wochen einen Strich – und packt Beiträge rund um Ost/West zusammen, die in den +/-14 Tagen zuvor aufgefallen sind. Damit sich nicht alles versendet. Als eine Art temporäres Archiv.
1. PATRICK BAUER empfiehlt:
(@patrickbauer / sueddeutsche.de)
Podcast: „Diagnose: Unangepasst. Der Albtraum Tripperburg” / MDR
“Eine feinfühlige und genaue Podcast-Serie über ein sehr grausames und lange wenig beachtetes Kapitel der DDR-Geschichte: die institutionelle Gewalt gegen Frauen. Tausende werden ab den 1960er Jahren in ‘geschlossenen venerologischen Stationen’, genannt: ‘Tripperburgen’, zwangseingewiesen, darunter auch junge Mädchen. Unter dem Vorwand, an Geschlechtskrankheiten zu leiden, aber in Wahrheit: weil ihr Lebensstil dem Staat nicht passt. Drei Betroffene erzählen in diesen sechs Episoden nun ihre Geschichte.”
Roman: „Was du kriegen kannst“, Clemens Böckmann / Hanser 2024
“Uta ist Möbelverkäuferin. In Zwickau, in den 1970er Jahren. Gegen die Langeweile hat sie viel Sex mit wechselnden Männern, ‘Geschenke-Sex’, gerne auch mit Durchreisenden aus dem Ausland, die ihr Parfüm mitbringen. Die Stasi will Uta als Informantin gewinnen. Mit der Langeweile ist es vorbei. Aber die Probleme fangen erst richtig an. Dieses Buch ist eine Sensation. Ein ‘Rechercheroman’ mit Ich-Erzähler, basierend auf der echten Geschichte dieser alkoholkranken Ex-Agentin, durchzogen von MfS-Protokollen. Eine einzigartige Biografie, aber vor allem eine einzigartige Montage von DDR-Realitäten, von Vergangenem, das ins Heute reicht.”
Text: „Kleinster Nenner Hüpfburg“, Cornelius Pollmer / Süddeutsche Zeitung
“August 2024, kurz vor der Wahl in Sachsen, die das weit über Sachsen hinaus alle beschäftigt. Was ist da los? Cornelius Pollmer betreibt – Zitat – ‘Soul Searching’ in der Lausitz. Soul Searching; ein Reportage-Genre, das sowieso vielleicht nur Pollmer beherrscht, jedenfalls besser als jeder andere. Das ist ja das Fantastische an Pollmer-Texten: dass er den Leuten und den Orten in die Seele schaut. Dass er sie liebevoll beschreibt und genau deswegen: präzise. Dieser feine Text, witzig und deprimierend und schön und hässlich zugleich, ist einer der letzten großen großen gewesen, die Cornelius für die Süddeutsche geschrieben hat. Dass er uns verlässt, ist schlecht. Dass er künftig die ‘ZEIT im Osten’ leitet, ist gut für die ZEIT und den Osten.”
2. SARAH ALBERTI empfiehlt:
(@sarahalberti_leipzig / www.sarahalberti.de)
Website: “Kunstszene / Ost“
“Das Projekt ‘Kunstszene/Ost – Biografien im Umbruch’ versammelt 20 Interviews, die ich und meine Kollegin Birgit Grimm mit bedeutenden, zum Teil noch immer aktiven Akteur*innen der Kunstszene der DDR geführt haben. Alle teilen ihre individuellen Erfahrungen aus dem politischen Umbruch 1989/90 und ihre heutigen Perspektiven auf die Präsenz von Kunst aus der DDR. Das Zeitfenster der Erzählungen endet bewusst nicht mit der Maueröffnung 1989. Wir fragten auch, wie die Protagonist*innen den Systemwechsel 1990 erlebten, welche Vor- und Nachteile die zunehmende Internationalisierung, die geografische Öffnung, der marktwirtschaftlich funktionierende Kunstmarkt und die Konkurrenz zu West-Akteur*innen mit sich brachten. Ein rund 850 Einträge umfassendes Glossar stellt wichtige Personen vor und erläutert Begriffe wie ‘Interhotel’, ‘Staatlicher Kunsthandel’ oder ‘Stasi’, die nicht allen Lesenden heute selbstverständlich präsent sind.”
Netzwerk: “Mach Dein Kreuz”
“Ich engagiere ich mich beim Netzwerk kompliz*, einer Initiative von Künstler*innen und Kulturschaffenden in Sachsen, die sich seit 2017 für einen respektvollen gesellschaftlichen Austausch einsetzt. Zu Beginn des Jahres haben wir unter dem Hashtag #machdeinkreuz eine Plakat-Aktion initiiert, die dazu auffordert, wählen zu gehen. Die Plakate werden kostenfrei zum Download angeboten oder können fertig produziert per Post versandt werden. Die Aktion wurde zur EU- und Kommunalwahl 2024 ins Leben gerufen und zur sächsischen Landtagswahl wiederholt. Angesichts der Bundestagswahl wollen wir die Aktion ab Januar 2025 ausweiten: Auf der Website wird ein Pool an Plakaten bereitgestellt, auf den Initiativen, Gruppen und Vereine aus ganz Deutschland zugreifen bzw. daraus auswählen können, um sie in ihren Städten und Regionen an Laternenmasten, aber auch im Verein, der Kneipe und an der Bushaltestelle aufzuhängen. Wir verstehen das Hängen der Plakate als Akt der Solidarität: Vereine, Museen, Läden und Privatpersonen bekennen sich damit zu einer diversen und demokratischen Gesellschaft, die Kunst und Kultur als elementare Bestandteile begreift.”
3. ALEXANDER TESKE empfiehlt:
(@aleksteske / frei – taz.de)
Buch: "Power von der Eastside! Jugendradio DT64 – Massenmedium und Massenbewegung”. Heiko Hilker, Alexander Pehlemann, Andreas Ulrich, Jörg Wagner (Hgg.) / Ventil Verlag 2024
“DT64 war das Jugendradio der DDR. Und nach der Wende plötzlich sehr beliebt, weil frech, politisch und mit sehr guter Musik. Doch mit der Einheit sollten auch alle Ostsender verschwinden. Jahrelang kämpften tausende Jugendliche mit Mahnwachen, Senderbesetzung, Straßenblockaden und Unterschriftenlisten für den Erhalt ihres Senders. Am Ende hatten sie keine Chance. Alte westdeutsche Männer um Helmut Kohl hatten andere Pläne. Wer heute noch einmal liest, wie eine junge Generation ihre ersten Demokratieerfahrungen machte und bitter enttäuscht wurde, bekommt eine Vorstellung davon, warum gewisse Verhärtungen im Osten bis heute fortbestehen.”
TV-Doku: “Es ist kompliziert ... – der Osten in den Medien", Anett Friedrich + Christoph Peters / MDR
“Man kann viel Kritisches einwenden gegen diese Doku. Und doch ist sie unbedingt sehenswert. Weil sie ein unterbelichtetes Thema aufgreift, was aber unterschätzt wird. Denn das sinkende Vertrauen in etablierte Medien – vor allem im Osten – hat Gründe. Und Folgen für die Demokratie. Einige Verfehlungen westdeutscher Leitmedien im Osten werden noch einmal auf bisher nicht gezeigte Art mit Hilfe von KI aufgezählt. Und wichtige ostdeutsche Stimmen wie Mandy Tröger, Marieke Reimann oder Anke Fiedler kommen zu Wort.”
Podcast-Folge: “Warum bleibt der Osten so anders? Mit Steffen Mau“ / Hotel Matze
“Matthias Hielscher ist einer der weniger Ostdeutschen, der es in die erste Reihe geschafft hat. In seinem Podcast sind sie alle zu Gast – vom Bundeskanzler über Starautoren und Komiker bis zur Klimaaktivistin. Auch Wissenschaftler oder andere in den Medien selten gehörte, aber spannende Stimmen wie Thomas Hübl kommen zu Wort. Und Matze hat eben auch eine ostdeutsch sozialisierte Sicht auf die Dinge. Hörenswert sein Gespräch mit dem Soziologen Steffen Mau und dessen neuestes Buch ‘Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt’. Es geht um Ostalgie und Nostalgie, um verklärte Blickweisen, Osterklärungsmüdigkeit und um die AfD als Klassensprecher des Ostens.”
Radiosendung: "Den Osten verstehen - warum ist das so schwer?" / SWR Kultur Forum (23.8.24)
“Eine spannende Diskussion, der ich auch gerne länger als 44 Minuten zugehört hätte. Der SWR hat sich drei ostdeutsche Stimmen eingeladen, die zeigen wie heterogen der Osten ist. Denn Sozialwissenschaftler Raj Kollmorgen der Hochschule Zittau/Görlitz, Soziologe Detlef Pollack der Uni Münster und Autorin Sabine Rennefanz haben ganz unterschiedliche Sichtweisen und können diese gut begründen. Der Moderator hält sich klugerweise zurück. Und so gelangen selten gehörte Argumente und Fakten zur Aufführung.”
4. UTA BRETSCHNEIDER empfiehlt:
(@bretschneider_u / Zeitgeschichtliches Forum Leipzig)
Buch: “Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt“ / Suhrkamp 2024
“Endlich ein Buch zum Stand des deutsch-deutschen Miteinanders ohne Oschmannsche Wut! Steffen Mau zeigt in dem schmalen Band wo wir stehen und wo es klemmt. Insbesondere die Ausführungen zu ostdeutschen Identitäten – einem sonst sehr emotional besetzten Thema – sind wohltuend sachlich und klug. ‚Ungleich vereint‘ macht deutlich, dass es weiterhin einen großen Bedarf gibt, sich mit ‚dem Osten‘ (den es genau so wenig gibt, wie ‚den Westen‘) und vor allem mit der sogenannten Transformationszeit zu befassen – es sind noch so viele Geschichten unerzählt.“
Buch: “Ostflimmern. Wir Wende-Millenials“, Philipp Baumgarten + Annekathrin Kohout (Hgg.) / Mitteldeutscher Verlag 2024
“Einen besonderen Blick auf die ostdeutsche Provinz zeigen die Fotografien von Philipp Baumgarten. Er hat die Jahre des Auf-, Um- und Abbruchs seit dem Ende der DDR in seiner Heimat Zeitz mit der Kamera festgehalten. Es sind liebevolle Zeitdokumente, trotz der vielfach festgehaltenen Tristesse. Um die Fotos schart der Band Texte von großartigen ‚Wende-Millennials‘ wie Nhi Le, Lukas Rietzschel und Greta Taubert. Ein Lese- und Bildvergnügen, das junge Perspektiven auf das deutsch-deutsche Zusammenwachsen in seiner langen Dauer bietet und Lust auf mehr macht: Der riesige Fotobestand Baumgartens soll demnächst in einem Online-Archiv zugänglich gemacht werden.“
Ausstellung: “Hin und Weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ / Humboldt Forum Berlin (bis 16.2.25)
“Ausgerechnet im Humboldt Forum eine Ausstellung zum Palast der Republik? Wo sonst?, könnte man antworten! 1976 bis 1990 diente der Palast der Republik als ‘Haus des Volkes’ und Sitz der Volkskammer. Es folgten Asbestsanierung, künstlerische Nutzungen und, ab 2008, der Abriss, der Platz machte für den Bau des Humboldt Forums. Der Phantomschmerz ist bis heute präsent. So ist es wenig überraschend, dass das Humboldt Forum viele triggert. Seit Mai zeigt dort eine Ausstellung Geschichte und Geschichten rund um den Palast. Die legendäre gläserne Blume und ein Golf VI-Motor, der teilweise aus dem Stahl des Palastskelettes gefertigt wurde, gehören zu den spektakulärsten Objekten. Die Präsentation aber lebt vor allem von den Stimmen, von Zeitzeug:innen, die am und im Palast gearbeitet und sich nach dem Ende seiner Nutzung an ihm abgearbeitet haben. Noch bis Mitte Februar lädt die Schau zum Besuch ein.“
5. LENA SCHNEIDER empfiehlt:
(@malenaschneide5 / pnn.de)
Buch: “Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt“ / Suhrkamp 2024
“Vermutlich keine besonders originelle Wahl, aber es bleibt ein Buch, an dem 2024 niemand vorbeikam, der/die sich mit der Ost-West-Thematik befasste. Handlich im Format, verständlich in der Sprache – und dabei so wohltuend unaufgeregt, klug, gegen alle Vorurteile (vor allem: ‘Brauner Osten, demokratischer Westen’). Die für mich wichtigste Erkenntnis: Der Osten ist nicht demokratiemüde, er ist parteienmüde – ein so wichtiger Unterschied.”
Buch: „Weltalltage“, Paula Fürstenberg / KiWi 2024
“Die gebürtige Potsdamerin, Jahrgang 1987, zeigt mit ihrem zweiten Roman, wie stark sich auch Ostsozialisierte der ‘vierten Generation’ als von der DDR geprägt empfinden können. Was das Buch stark macht: Der Osten wird als einer von vielen Einflüssen auf die eigene Biografie beschrieben (es geht auch um Krankheit und Klasse) und ist noch lange nicht auserzählt. Ein Buch, das auf das Recht beharrt, fragmentarisch sein zu dürfen, wie Erinnerungen es immer sind. Und ein Appell daran, dass es auch im Blick zurück auf die DDR viele Wahrheiten gibt, die es auszuhalten gilt.”
Text: „Blick in die eigene Stasi-Akte: Wie ich mich bei Sascha Hehn ausheulte und den Herbst 1989 in Potsdam erlebte“, Steffi Pyanoe / PNN/Tagesspiegel
“Es sind im Jubiläumsjahr so viele Artikel zum 9. November erschienen, da fällt eine Auswahl wirklich schwer. Dieser von meiner Potsdamer Kollegin geschriebene hat mich aber besonders berührt. Steffi blickt darin zurück auf ihr 12-jähriges Ich, das Briefe in den Westen schrieb und sich darin über die eigene Gegenwart beschwert. Sie hatte die Briefe lange vergessen – und ist ihnen erst 2024 bei der Lektüre ihrer eigenen Stasi-Akte wiederbegegnet. Das bringt sie zum Weinen und zum Lachen – wie dieser starke Text auch.”
6. MARKUS WEHNER empfiehlt:
(@mwehner4 / faz.net)
Artikel: “Ein Leben für Großschirma. Die Geschichte hinter dem Tod des Bürgermeisters Volkmar Schreiter”, Anna Lena Mösken / Freie Presse
Buch: “Deutschland der Extreme. Wie Thüringen die Demokratie herausfordert”, Martin Debes / Ch. Links Verlag 2024
TV-Doku: “Inside Bündnis Wagenknecht. Hinter den Kulissen einer umstrittenen Partei”, Christine Hübscher + Andrea Maurer / ZDF
Folge 119 des #ownsx-Newsletters erscheint am 13.1.2025
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