ownsx // folge 73
Hallo zusammen!
Na, alle gut rüber- und reingekommen?
Und nun weiter mit der kleinen Tradition der letzten Jahre: die Sonderfolgen.
Denn normalerweise versammelt jede Newsletter-Ausgabe ja nur die Auswahl von Ost/West-Beiträgen, die mir unter die Nase geraten sind in den vorausgegangenen 14 Tagen.
Daher folgt an dieser Stelle zum 3. Geburtstag des Newsletters nun die 2. Sonderausgabe: mit Ost/West-Stücken, die anderen in diesem Jahr besonders aufgefallen sind. (Teil 1 hier)
Tausend Dank an dieser Stelle allen, die mir ihre persönliche Besten-Auswahl 2022 geschickt haben! Und allen anderen, die diesen Newsletter lesen, freundlich begleiten, anderen empfehlen.
Falls jemand noch ein paar freie Tage hat oder was Neues zu lesen sucht, hier nochmal die ganze Liste mit Ost/West-Büchern 2022.
Aber erst mal – worüber haben wir hier eigentlich vor einem Jahr geredet?
Das war Folge 49 vom 27.12.
Noch mal fix zwei Sätze zur Erklärung:
Der Newsletter von ostwestnordsuedx zieht alle zwei Wochen einen Strich – und packt Beiträge rund um Ost/West zusammen, die in den +/-14 Tagen zuvor aufgefallen sind. Damit sich nicht alles versendet. Als eine Art temporäres Archiv.
1. AUGUST MODERSOHN empfiehlt:
(@augustmodersohn / @zeit)
Texte: “Herr Giese kauft ein“, Denise Peikert / LVZ
“‘Wenn alle ärmer werden, was ist dann mit denen, die es schon sind?’ Das fragt Denise Peikert in ihrer Reportage über Karl-Heinz Giese, einen Leipziger Hartz IV-Empfänger. Sie hat ihn für die LVZ im Frühling zum Einkaufen begleitet, und herausgekommen ist ein extrem einfühlsamer und berührender Text über Armut in Zeiten von Inflation. Beziehungsweise zwei Texte, denn im Herbst hat sie ihn ein zweites Mal getroffen und eine Fortsetzung geschrieben.”
(Anmerkung: Übrigens ist Denise Peikert gerade zur “Journalistin des Jahres” in der Kategorie “Reportage regional” gewählt worden – hier das Urteil der Medium-Magazin-Jury. Glückwunsch!)
2. SABINE RENNEFANZ empfiehlt:
(@SabineRennefanz)
Text: “Shitstorm wegen Pommes und Nuggets: Die Kita-Köchin hinter dem Fritten-Foto“, Manuela Müller / Freie Presse
“Eine kleine Geschichte, die Großes erzählt: Eine langjährige Kita-Köchin aus Chemnitz machte einmal Pommes und Nuggets zum Essen - und wurde dafür sofort auf Twitter massiv angefeindet, es gab einen bundesweiten Shitstorm, sie fürchtet schließlich um ihren Job.
Es geht um die Macht der sozialen Medien, die Folgen der Krise, aber auch darum, wie alte Ost-West-Vorbehalte in neuen Kleidern auftauchen, zum Beispiel im Hass auf das Essen in einer Ost-Kita. Der Text, genau und elegant von Manuela Müller in der Freien Presse erzählt, zeigt, wie wichtig gute Lokalberichterstattung ist, um ‘Shitstorms’ zu kontern.”
Audio: “Das Bautagebuch - ein neues Zuhause in Zeiten des Baubooms“, Merle Hilbk / WDR5
“Auf der Suche nach einer neuen Heimat hat die aus Münster stammende Journalistin Merle Hilbk ein altes Haus gekauft, in der Kleinstadt Beeskow im Landkreis Oder-Spree. Wie es ihr gelingt, auf abenteuerliche Weise mit Hilfe von Google Translate und einem einzigen polnischen Handwerker während der Pandemie das Haus zu renovieren, mit welchen Rückschlägen sie kämpft, wie die Kleinstadt immer noch unter den Folgen der Vereinigung leidet, erzählt die Autorin in diesem 4-teiligen Feature.
Ich bin selbst in Beeskow geboren, kann mir nicht wirklich vorstellen, dorthin zurückzuziehen, und finde es aber spannend zu hören, wie es Merle Hilbk beim Einleben ging, zumal sie ihre Erlebnisse mit klugen Gedanken unterfüttert und auch ihre eigene Rolle als Westdeutsche immer wieder hinterfragt, reflektiert. Große Hörempfehlung!”
Text: “Wie sich der Westen den Osten erfindet“, Dirk Oschmann / FAZ+
“Ich muss noch unbedingt diesen Text zu meiner Best-of-Liste hinzufügen:
Immer wieder werde ich von westdeutschen Leserinnen und Lesern gefragt, warum ich ich darauf hinweise, dass ich aus dem Osten komme. Das sei doch spalterisch. Ich möchte ihnen allen diesen Text von Dirk Oschmann aus der FAZ zuschicken. Darin ist alles noch mal schön zusammengefasst, warum es für Ostdeutsche so schwierig ist, im öffentlichen Raum wahrgenommen zu werden.”
3. SIMONE SCHMOLLACK empfiehlt:
(@sis_teract / @tazgezwitscher )
Text: “Ein phantasievoller Pragmatiker“, Michael Bartsch / taz
“Ich empfehle unbedingt diesen Nachruf auf Werner Schulz von unserem Sachsen-Korrespondenten Michael Bartsch. Weil: MB beschreibt Schulz kenntnisreich wie wertschätzend - und das auf wenigen Zeilen. Es entsteht ein plastisches Bild eines der wichtigsten Bürgerrechtler:innen von 1989.”
Text: “Klopfen wie ein Weltmeister“, Waltraud Schwab / taz
“Weil solche Geschichten immer noch aufgeschrieben gehören.”
Text: “Sommerhaus und Sommerglück ade“, Edith Kresta / taz
“Eine wundervolle Reminiszenz an die Datschenkultur.”
Text: “Ein Palast der Republik“, Simone Schmollack / taz
“Und darf ich noch einen weiteren Text empfehlen? Ähm, nun ja, meinen eigenen. Das aber nicht, weil er etwa so großartig wäre, sondern weil die Recherche überaus großen Spaß gemacht hat und mich zurück geführt hatte in meine Leipziger Studentenzeit …”
4. KEVIN HANSCHKE empfiehlt:
(@KevinHanschke1 / @faznet)
Text: “Wie ein großes Museum“, August Modersohn, Carolin Würfel / Zeit+
“Toller und tiefgründiger Überblick über die kleinen und großen Ausstellungshäuser, -orte, Galerien und Kunstinstitutionen in Ostdeutschland. Sehr viele großartige Geheimtipps und inspirierende Anekdoten. Eng verbunden ist dieser Text mit einem Gastessay von Paul Kaiser, der darin auf die kunsthistorische Bedeutung der ostdeutschen und der DDR-Kunst eingeht und über den Umbruch im deutschen Museums- und Galeriebetrieb schreibt, dass gerade diese lange Zeit wenig betrachtete Kunst jetzt eine Renaissance erlebt und wieder gezeigt wird.”
Texte: “Das Auto kann draußen bleiben“ + “Werden jetzt Hunderte Garagen abgerissen?”, Stefan Locke, Robert Gommlich / FAZ
“Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sind viele sichtbare Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Städten verschwunden. Eine Besonderheit bleiben Garagenkomplexe, die sich in nahezu jeder Stadt im Osten finden. Auf deren Spur hat sich Stefan Locke gemacht und erzählt geistreich und empathisch von diesem besonderen Phänomen in Ostdeutschland, dass jetzt in den Blickpunkt von Künstlern, Architekten und Aktivisten gerät, die sich für die Bewahrung dieser Symbole der DDR-Kultur einsetzen. Dazu passt ein weiterer Text, der sich mit dem Abriss der Garagenkomplexe auseinandersetz, in dem auch über die Gentrifizierungsprozesse in vielen ostdeutschen Städten gesprochen wird.”
5. HANNAH SUPPA empfiehlt:
(@hannah_suppa / @lvz )
Text: “Mythos Sternburg Export: Wieso lieben so viele dieses Bier?“, Josa Mania-Schlegel / LVZ+
“Kann man ein Bier hassen? Josa Mania-Schlegel war für die LVZ auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, warum der Mythos Sternburg den Osten polarisiert – und wie hartgesottene Fans die beste Flasche "Sterni" im Kasten finden. Ein Stück, dass viel über Leipzig erzählt, aber auch über den Osten und weil Bier so viele Menschen vereint: auch über die Menschen.”
Podcast: “Der Fall Lina E“, Denise Peikert / LVZ+
“Die Podcast-Folge mit Denise Peikert über den Fall Lina E. - und darüber, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus in Gewalt eskaliert ist.”
6. 80/82-OSTKINDER empfehlen:
(@8082podcast)
Video: “‘Philipp Hübl diskutiert’ mit Steffen Mau über die DDR, den Osten und Grenzen im 21. Jahrhundert“
“Steffen Mau, Autor von Lütten Klein, beschreibt hervorragend was den Osten als Transformationsgesellschaft ausmacht.”
Audio: “Young and Free-Podcast“, Kooperative Berlin KBK e.V.
“DDR Geschichte(n) unterhaltsam als Hörspiele aufbereitet.”
Text: “Die Westdeutschen nehmen den Osten noch immer nicht ernst“, Claudia Schwartz/NZZ
“Schweizer Blick Kulturblick auf das Zusammenwachsen von Ost und West oder eben nicht.”
7. NIKOLAI OKUNEW empfiehlt:
(@NikolaiOkunew / @zzfpotsdam)
Text: “Arbeitsbeziehungen und soziale Ungleichheit“, Jessica Lindner-Elsner, Ronny Grundig / bpb.de
“Themen wie soziale Ungleichheit oder Reichtum in der arbeiterlichen DDR-Gesellschaft stehen klar auf der Forschungs-Agenda. Lindner-Elsner und Grundig bringen einen in diesem kompakten Text up-to-date und liefern Einblicke in die eigenen Studien.”
Buch: “Vom ungerechten Plan zum gerechten Markt?“, Clemens Villinger / Aufbau Verlag
“Mit enormen Aufwand mobilisiert Villinger in einer Dissertationsschrift sozialwissenschaftliche Daten für die historische Forschung. Auch er richtet den Blick auf Ungleichheiten und wahrgenommene Ungerechtigkeiten und auf die Felder Ernährung und Wohnen, die in vielen Studien nur am Rand vorkommen.”
Film: „Unter Brüdern - Rock & Pop aus dem Ostblock“, Michael Rauhut / RBB
“Zumindest im Doku-Format scheint die Geschichte des Ostrocks auserzählt. Rauhut macht hier neue Fässer und zeigt Geschichten von Bands aus den staatsozialistischen Nachbarländern. Die Globalisierung der Pop-Musik in der DDR, das wird im Film klar, kann nicht einfach als Amerikanisierung erzählt werden.”
Podcast: „Iron East – Heavy Metal in der DDR“, Jan Kubon / MDR
“Mein kleiner Anteil an diesem Podcast ist nicht ausschlaggebend für seine Qualität. Diese ergibt sich viel eher aus der beeindrucken Recherche-Leistung von Kubon, der sich hier in eine für ihn zunächst völlig fremde Szene reingekniet hat. Viele Interviews mit Musiker_innen schaffen ein facettenreiches Bild einer sehr speziellen Szene in einem kleinen Land.”
8. DANIELA SCHULZE empfiehlt:
(@DSchulzee / @mdr_san)
Text: “Der Osten in Großbuchstaben“, Valerie Schönian / Die Zeit
“Besonders gefreut habe ich mich in diesem Jahr darüber, dass es das Festival OSTEN in große Medien wie die Tagesthemen, die ZEIT und die FAZ geschafft hat. Das Festival, das die Umbrüche in Ostdeutschland künstlerisch erforscht, hat zum ersten Mal stattgefunden, am Kulturpalast in Bitterfeld. Eine schöne Anerkennung für all die Menschen, die es mitgestaltet haben und sich in der Region engagieren. Ich empfehle den Beitrag von Valerie Schönian, die für die ZEIT im Osten schon viele, gute Stücke über Ostdeutschland geschrieben hat.”
Text: “Wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet“, Bettina Baltschev / MDR Kultur
“Ein kluges und berührendes Buch, das ich empfehlen möchte, ist ‚Klassenbeste‘ von Journalistin Marlen Hobrack. Die gebürtige Bautznerin zeigt, wie Herkunft prägt und die Gesellschaft spaltet – ganz persönlich, anhand ihrer eigenen Biografie. Aufgewachsen in einer klassischen, ostdeutschen Arbeiterfamlie arbeitet sie heute erfolgreich als Journalistin – und hat ,die feinen Unterschiede‘ auf ihrem Weg immer wieder zu spüren bekommen. Sie widmet ihr Buch ihrer Mutter, die nach mehr als 50 Jahren Arbeit von Altersarmut betroffen ist. Ich glaube, es sind diese ganz persönlichen Geschichten, insbesondere von Frauen aus Ostdeutschland, die wir noch mehr lesen und hören sollten.”
Text: “Der Berliner Produzent Oliver Marquardt legt ‘Der blaue Planet’ von Karat neu auf“, Susanne Lenz / Berliner Zeitung
“Zum 40. Geburtstag von ‚Der blaue Planet‘ der Ost-Band Karat hat Oliver Marquardt den Friedenssong neu aufgelegt. Wer hätte gedacht, dass die Zeilen von 1982 heute wieder so aktuell klingen …? Berührt hat mich der Song schon immer, die Band lief bei uns früher zu Hause rauf und runter. Und wenn die Neuauflage jetzt noch mehr Menschen dafür begeistern kann – gute Sache.”
9. CHRISTIAN FUCHS empfiehlt:
(@ChristianFuchs_ / @zeit)
Videos: “Heimat Ostdeutschland. Junge Perspektiven“, Zeitgeschichtliches Forum Leipzig
“Das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig macht nicht nur richtig tolle Ausstellungen, sondern hat 2022 auch eine Talkshow gestartet - nachts im Museum:
Die ostdeutsche Bestseller-Autorin Greta Taubert befragt junge Migrant:innen, Frauen, Künstler:innen, Aktivist:innen und Menschen aus der Provinz zu ihrer ‘Heimat Ostdeutschland’. Endlich mal frische junge Perspektiven auf ein altes Thema.”
Buch: “Drei Frauen träumten vom Sozialismus“, Carolin Würfel / Hanser Berlin
“Ich habe dieses Jahr Carolin Würfels Roman "Drei Frauen träumten vom Sozialismus" verschlungen, es ist das ‘1914’ von Illies für den Ost-West-Diskurs. Ein Geschichtsbuch wie eine wilde Nacht. Und ein Portrait der leidenschaftlichen Freundschaft der drei Ikonen der Ost-Literatur Maxie Wander, Brigitte Reimann und Christa Wolf. Sie kamen aus drei Himmelsrichtungen in der DDR zusammen, sie verband eine Utopie. Inspirierend!”
So. Habe ich was vergessen? Soll was Bestimmtes mit rein?
Dann los: mail @ ostwestnordsuedx.de
Folge 74 des #ownsx-Newsletters erscheint am 16.1.2023
Möge das neue Jahr für alle gesund sein und bereichernd!
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… und natürlich gerne weitererzählen, danke!
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Was die geplante Arbeitsplatztauschplattform für Journalist:innen auf ostwestnordsuedx.de (Was das sein soll? Womit alles anfing? Wer dahinter steckt? Steht hier und hier und hier. ) angeht: Das Ganze befindet sich in der Praxisform noch in der pandemiebedingten Ruhephase, aber hoffentlich bewegt sich bald etwas.
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Zum Schluss weiterhin dieser Hinweis:
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